Andreas
M. Stolpe und Lars
Achenbach
Vor 2 Jahren wurde vor Dembki im Mündungsbereich des kleinen Flüsschens
Piasnitz, ungefähr 100 km westlich von Danzig (Polen) durch Sporttaucher
ein Wrack entdeckt.
In der Nomenklatur des Polnischen Meeresmuseums läuft dieses Wrack unter
der Registrierungsnummer W32. Im Jahre 1995 wurden erste Ausgrabungen an dem
Wrack durchgeführt. Die Backbordseite wurde damals vollständig freigelegt.
Dabei war den Archäologen das Glück hold: In dem Wrack wurde die Schiffsglocke
gefunden! Der Name des Schiffes ist "General Carleton of Whitby 1777".
Dieser günstige Umstand ermöglichte nun den Archäologen weitere
Forschungen zu den Umständen des Unterganges der "General Carleton"
durchzuführen. Die ersten wichtigen Hinweise erhielten die Forscher durch
Recherchen in den Schiffsregistern der Versicherungsagentur Lloyds. Der Stapellauf
des Handelsschiffes fand in Jahr 1777 in Whitby statt. Es wog 500 Tonnen und
wurde durch den Kapitän T. Pyman auf seiner ersten Fahrt nach Riga komandiert.
In den Archiven wurde die Heuerliste gefunden. Demzufolge hatte das Schiff eine
Besatzung von 25 Mann. Der Kapitän des Schiffes war ab 1781 William Hustler.
Neben dem Kapitän war noch ein Maat, ein Koch, ein Schiffszimmermann, 14
einfache Matrosen und 7 Servants an Bord. Alle Besatzungsmitglieder fanden der
Liste zufolge am 27. September 1785 bei dem Untergang den Tod durch Ertrinken.
Die Heuerliste endet mit der Eintragung: "drowned; 15811 6/4 £",
der Todesursache und die an die Hinterbliebenen zu zahlende ausstehende Heuer.
Regionale Zeitungen bedeuteten für die Woche des Unterganges der "General
Carleton" starke Herbststürme. Aus diesen Informationen läßt
sich das dramatische Ende des einst so stolzen Handelsschiffes plastisch erahnen.
Weiterhin konnte aus den Archiven ermittelt werden, daß zum Zeitpunkt
des Untergangs der "General Carleton" Mrs. Margaret Campion Besitzerin
des Schiffes war. Ihr Ehemann Nathaniel entstammte einer bekannten Schiffseignerfamilie
und war selbst Kapitän. Er verschied 52-jährig im Jahre 1783. Mrs.
Margret Campion übernahm nach seinem Tod die Handelsflotte und baute die
Flotte zu einer der mächtigsten britischen Handeslflotten der damaligen
Zeit aus. Ihr Einfluß war so groß, daß sie mit ihrer Flotte
den Russland-Handel über die Ostsee kontrollierte. Mrs. Campion gründete
in jenen Jahren eine Bank und war damit wohl auch die erste Bänkerin Britanniens.
Whitby war im 18ten Jahrhundert eine blühende Stadt die vom Seehandel lebte.
Die Stadt hatte den sechstgrößten Seehafen von Britannien und hegte
enge Handelverbindungen mit Russland. Die meiste Fracht ging ins Memelgebiet
oder nach Petersburg. Hauptsächlich wurden Tonwaren, Porzellanpfeifen,
Kork und Blei exportiert. Auf dem Rückweg hatten die Schiffe meistens Holz
geladen. Das Wrack der "General Carleton" liegt ungefähr eine
halbe Seemeile vom Ufer entfernt im Mündungsbereich des Flüßchens
Piasnitz in ungefähr 6 bis 7 m Wassertiefe. Es ist nördlich ausgerichtet
und zeigt mit dem Bug in Richtung Küste. Von Schiff selbst ist nur noch
der untere Teil des Rumpfes vorhanden. Von Vordersteeven bis zum Heck mißt
die Wrackmasse 29,5 m und hat eine Breite von 8 m. Zu Beginn der Ausgrabungen
ragten nur die oberen Partien der Spanten aus dem Sand. Das Wrack bot somit
der Strömung kaum Angriffsflächen. Durch die Grabungstätigkeit
änderte sich das. Das Wrack wandert bedingt durch Ab- und Antragung des
umgebenden Sandes. Einzelfunde wurden deshalb außerhalb des Wrackes nicht
gemacht und werden auch nicht zu erwarten sein. Der Rumpf ist vornehmlich aus
Eichenholz gefertigt und weist eine leichte Neigung zur Steuerbordseite auf.
Sowohl Außen- als auch Innenbeplankung sind teilweise recht gut erhalten.
Die ungefähr 30 bis 50 cm breiten Planken sind durch Holzdübel mit
einem Durchmesser von 3 cm auf den Spanten befestigt. Bei einigen Holzdübeln
ist noch die "Bleiversiegelung" als Schutz gegen Eindringen von Wasser
zu erkennen. Von den Seiten des Rumpfes sind nur noch die mächtigen Spanten
vorhanden.
Das besondere am Wrack W32 ist die Tatsache, daß es unter anderem auch
Teer geladen hatte. Nach dem Untergang der "General Carleton" sind
die Teerfässer zerbrochen und der Inhalt hat sich in das Innere des Bootes
ergossen. Zusammen mit dem Sand der Ostsee und unter der Einwirkung von über
200 Jahren im Seewasser ist der Teer zu einer Art Asphalt verbacken. Alle eingeschlossenen
Artefakte wurden auf diese Weise gut konserviert und im Wrack fixiert. Kleines
Fundmaterial wurde hauptsächlich in den Asphaltverkrustungen und zwischen
den Planken- und Holzkonstruktionen gefunden.
Während der vorangegangenen Ausgrabungen auf der Backbordseite konnten
Schifferpistolen, Kleidungsstücke aus Wolle und Leder, ein Thermometer,
Töpferware, Glasviolen und Münzen geborgen werden.
Am spektakulärsten aber waren hunderte von Schuhschnallen aus Zinn.
In der Kampagne 1996, während der Zusammenarbeit des Maritimen Museums
mit der DEGUWA, wurde die Steuerbord-Seite der "General Carleton"
in Angriff genommen. Aufgrund der geringen Tiefe des Fundkomplexes wurden zu
den Unterwasserarbeiten neben herkömmlichen Preßluft- Tauchgeräten
auch Sauerstoff-Kreislaufgeräte eingesetzt. So waren effizientere Taucheinsätze
von bis zu 3 Stunden möglich.
Um an die Schicht mit den eingebackenen Fundstücken zu gelangen mußte
eine ungefähr 2 m starke Sandschicht vom Wrack mit dem Airlift abgetragen
werden. Es stellte sich heraus, daß das Schiff noch eine Lage Eisenbarren
geladen hatte. Die Eisenbarren waren sehr stark korrodiert und zu einem undurchdringlichen
Gewirr verbacken. In der nächsten Etappe wurden diese Eisenbarren und Eisenplatten
entfernt. Dies konnte teilweise nur dadurch erreicht werden, indem mit der Zugkraft
der Ankerwinde des Forschungsschiffes die Barren voneinander gelöst wurden.
Die Klein-Funde wurden mit einem Preßlufthammer von den hölzernen
Planken gemeißelt und nach oben an Bord der "Kaszubski Brzeg"
befördert. Neben Teilen der Takelage wurden einige Porzellanpfeifen, Pistolenkugeln,
Fragmente von Messingkrügen und ein Messing-Fernrohr freigelegt.
Die Ausgrabung am Fundkomplex W32 wird sicherlich noch 1996 abgeschlossen. Das
umfangreiche Fundmaterial wird dann nach der Restauration und der wissenschaftlichen
Aufarbeitung im Maritimen Museum Danzig zu bewundern sein. Das Wrack selber
wird an Ort und Stelle belassen. Eine weitergehende Konservierung der "General
Carleton" ist nicht vorgesehen. Aufgrund der starken Strömungsverhältnisse
ist damit zu rechnen, daß der Fundort binnen kurzer Zeit wieder mit Sand
bedeckt sein wird. Zerstörung durch Sporttaucher ist dann sowieso auszuschließen.
Fischerei wird in diesen Gewässern nur sporadisch von kleinen Fischerbooten
aus betrieben. Die durch die progressive Versalzung der Ostsee verursachte Ausbreitung
der Schiffsbohrmuschel (Teredo navalis) ist in diesen Gewässern noch nicht
zu beobachten. Es herrschen momentan noch Bedingungen vor, die eine Konservierung
des Wracks durch Belassen in der ursprünglichen Fundlage als die beste
Konservierungsmethode erscheinen lassen.
ROHClass by Marcus Nenninger
Diese Seite wurde zuletzt geändert am 7.4.2004.
Fragen und Verbesserungsvorschläge an:
Dr. Marcus Nenninger Regionalbeauftragter
der DEGUWA für Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen